Weinend sank ins Grab der Zeiten
ferner Täler Lust und Weh.
Bergwärts in den ewigen Schnee
führt der Weg der Einsamkeiten.
Eine steingewordne Sage
ruhn die Gipfel riesengroß –
gottesnah und menschenlos,
wie am ersten Schöpfungstage.
Tot ist aller Wunsch und Wille,
Staub ist aller Erdensinn.
Nur der Geist vom Urbeginn
redet in der Tempelstille.
Am blassen Meeresstrande
Saß ich gedankenbekümmert und einsam.
Die Sonne neigte sich tiefer, und warf
Glührote Streifen auf das Wasser,
Und die weißen, weiten Wellen,
Von der Flut gedrängt,
Schäumten und rauschten näher und näher -
Ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen,
Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen,
Dazwischen ein wiegenliedheimliches Singen -
Mir war, als hört ich verschollne Sagen,
Uralte, liebliche Märchen,
Die ich einst, als Knabe,
Von Nachbarskindern vernahm,
Wenn wir am Sommerabend,
Auf den Treppensteinen der Haustür,
Zum stillen Erzählen niederkauerten,
Mit kleinen horchenden Herzen
Und neugierklugen Augen; -
Während die großen Mädchen,
Neben duftenden Blumentöpfen,
Gegenüber am Fenster saßen,
Rosengesichter,
Lächelnd und mondbeglänzt.
Heinrich Heine
DER GEWEIHTE DES GRALES
Alle Tiere sind Geschöpfe Gottes –
bringe ihnen der Liebe Gral
und tilge von deiner entweihten Stirne
der Menschheit blutiges Kainsmal.
Alle sind deine Brüder und Schwestern,
mit dir in die Kette der Dinge gereiht.
Erst wenn das letzte Geschöpf befreit ist,
bist du, Befreier, selber befreit.
Über allem, was atmet, halte schirmend,
Geweihter des Grales, deinen Schild.
In allem, was atmet, bist du und dein Leben
und Gottes Ebenbild.
DIE TOTEN
Die Toten starben nicht. Es starb ihr Kleid.
Ihr Leib zerfiel, es lebt ihr Geist und Wille.
Vereinigt sind sie dir zu jeder Zeit
in deiner Seele tiefer Tempelstille.
In dir und ihnen ruht ein einiges Reich,
wo Tod und Leben Wechselworte tauschen.
In ihm kannst du, dem eigenen Denken gleich,
den stillen Stimmen deiner Toten lauschen.
Und reden kannst du, wie du einst getan,
zu deinen Toten lautlos deine Worte.
Unwandelbar ist unsres Geistes Bahn
und ewig offen steht des Todes Pforte.
Schlagt Brücken in euch zu der Toten Land,
die Toten bau’n mit euch am Bau der Erde.
Geht wissend mit den Toten Hand in Hand,
auf dass die ganze Welt vergeistigt werde.
MEDITATION
Wer mit den Augen der Andacht geschaut,
wie die Seele der Erde Kristalle baut,
wer die Flamme im keimenden Kern gesehn,
im Leben den Tod, Geburt im Vergehn –
wer in Menschen und Tieren den Bruder fand
und im Bruder den Bruder und Gott erkannt,
der feiert am Tische des Heiligen Gral
mit dem Heiland der Liebe das Abendmahl -
er sucht und findet, wie Gott es verhieß,
den Weg ins verlorene Paradies.
Alle Gedichte aus: "Genius astri"
Der Mensch ist bald vergessen
der Mensch vergißt so bald,
der Mensch hat nichts besessen,
er sterb´ jung oder alt.
Der Mensch ist bald vergessen,
nur Gott vergißt uns nicht,
hat unser Herz ermessen,
wenn es in Schmerzen bricht.
Wir steigen im Gebete
zu ihm wie aus dem Tod,
sein Hauch, der uns durchwehte,
tat unserm Herzen not.
“In dem gelben
Turm der Kirche
läutet eine Glocke.
Auf dem gelben
Winde öffnen
sich weit die Glockentöne.
In dem gelben
Turm der Kirche
höret auf die Glocke.
Der Wind macht aus dem Staube
verwehnde Silberbüge.”
Federico Garcia Lorca gehörte zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts.
Alle menschlichen Gedanken erzeugen unbewusst / bewusst Gedankenbilder und konvertieren diese anschließend ausgesprochenen oder still gedachten "ELEMENTE" in greifbare Wortbilder. Unser Verstand (Ratio) erzeugt eine unmittelbare Realität, mithilfe dieser "erlernten" Sprachmuster.
(Franz Schaaf)

(Abbildung aus: Osborne, Philosophie - Eine Bildergeschichte für Einsteiger)